(Anmerkung: Dieser Beitrag enthält ein Update vom 03.01.2013. Informationen dazu findet ihr ganz am Ende.)
Seit gestern Mittag rege ich mich ungemein auf. Ihr habt es sicherlich mitbekommen, vor wenigen Tagen lief ein 20-jähriger in den USA an einer Grundschule Amok und tötete dabei 27 Menschen – darunter viele Kinder im Alter von 6-7 Jahren.
Schon kurz darauf kamen die ersten Experten und äußerten sich zu Lanzas möglichem Geisteszustand. Lanza war zu dem Zeitpunkt schon tot, er hatte Suizid begangen.
Ziemlich schnell fielen Worte wie “autistisch” oder “Persönlichkeitsstörung”. Er sei “depressiv” und zuletzt “sehr aggressiv” gewesen. Weitere Beschreibungen waren “seltsam”, “sehr ruhig”, “wortkarg”, “einsilbig” und er habe sich im Kontakt mit anderen Menschen “unwohl” gefühlt. Außderdem soll er sehr intelligent, fast ein Genie gewesen sein.
Spiegel Online hatte nun offenbar nichts besseres zu tun, als diesen Autismus-Gedanken aufzugreifen und begann in küchenpsychologischer Manier mit der eigenständigen Diagnosearbeit. So tauchten im ersten Artikel, den ich las Sätze auf wie
Unqualifiziertes SpOn Bla-Bla
Gestern stand da sogar noch “einer abgeschwächten Form von Autismus”.
Gleich hintendran der Satz:
Unqualifiziertes SpOn Bla-Bla
Man beachte das “auch”. Wem jetzt die Idee kommt, Asperger-Autismus sei eine Persönlichkeitsstörung, ist SpOn auf den Leim gegangen. Das Asperger-Syndrom ist eine Entwicklungsstörung. Es wird aber weiter von einer Persönlichkeitsstörung geschrieben um dann wieder nahtlos auf das Asperger-Syndrom zu sprechen zu kommen:
Unqualifiziertes SpOn Bla-Bla
Auch das ist Quatsch. Asperger-Autisten sind ebenso gesunde Menschen, wie alle anderen gesunden Menschen auch. Asperger-Autismus ist keine Krankheit, sondern eine Störung. Menschen, die keine Störung aufweisen, bezeichnet man idR. als neurotypisch.
Wikipedia sagt dazu:
„Neurotypisch“ (oder „NT“) ist ein Neologismus, der benutzt wird, um Menschen zu charakterisieren, deren neurologische Entwicklung und Status mit dem übereinstimmen, was die meisten Menschen als normal bezüglich der sprachlichen Fähigkeiten und Sozialkompetenzen betrachten.
Weiter schreibt SpOn unmittelbar darauf:
Unqualifiziertes SpOn Bla-Bla
Hier entsteht der Eindruck, mit der vorher erklärten “Schwierigkeit Emotionen zu erkennen” käme auch die Unfähigkeit Emotionen zu zeigen oder gar zu empfinden.
Auch das ist falsch. Asperger-Autisten haben genauso Emotionen wie neurotypische Menschen auch – teilweise sind sie sogar feinfühliger. Sie tun sich lediglich schwer damit intuitiv zu erkennen, was ein anderer Mensch gerade fühlt – viele von ihnen können aber mit der Zeit zumindest vom Kopf her sagen, welche Emotion der andere mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gerade erlebt.
SpOn schreibt selbst, dass das Asperger-Syndrom dazu führen kann, dass sich Betroffene von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen – und hat trotzdem nichts Besseres zu tun, als die Fronten weiter zu verhärten und es den Asperger-Autisten zusätzlich schwer zu machen, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden.
Na, wie feinfühlig finde ich das denn?
Den Vogel abgeschossen hat aber am Abend Frau Cinthia Briseño mit ihrem Artikel: “Unqualifizierte SpOn Bla-Bla-Überschrift zum Thema Asperger-Syndrom”
Ich habe mich so aufgeregt gestern – wie kann ein so schlecht recherchierter, hetzerischer und dreist gelogener Artikel veröffentlicht werden? Dass die Autorin sich dabei nicht in Grund und Boden schämt!
Auch wieder die Anspielung darauf, Asperger-Autisten seien emotionslos – besser noch gleich in der Überschrift das mit einer doppelten Bedeutung belegte Wörtchen “blind”, als würden Asperger-Autisten Emotionen nicht nur nicht erkennen, sondern als seien sie ihnen auch völlig egal.
Die Autorin nennt dabei die Aussage eines Asperger-Autisten, der sich wie folgt seinem Arzt gegenüber äußerste:
“Was sie und andere Menschen mit dem Bauch machen, das muss ich mir ganz sorgfältig mit meinem Verstand zurechtlegen.”
in einem Zusammenhang, als würde bei Aspies alles völlig emotionslos über den Kopf laufen. Das ist absoluter Schwachsinn. Was der Patient aussagt ist, dass er nicht intuitiv (also aus dem Bauch heraus) begreift, sondern mit dem Kopf. Es geht um das “Begreifen” nicht darum, dass er nichts fühlen würde!
Der absolute Höhepunkt der Schande war dann aber erreicht, als Cinthia Briseño anfängt, wie zum Beweis, drei weitere (Massen-)Mörder aufzuzählen, die ebenfalls als Asperger-Autisten galten, als sei es ein entscheidendes Kriterium – Menschen mit Asperger-Syndrom laufen in der Welt von Cinthia Briseño offenbar alle irgendwann Amok oder fangen willkürlich an zu morden.
Unqualifiziertes SpOn Bla-Bla
Anders ist die Aufzählung nicht zu erklären – denn sie hätte ja auch wohlwollend eine Liste nicht autistischer Mörder aufführen können (von denen es Tausende mehr gibt) um zu unterstreichen, dass Autismus jedoch nicht zwangsläufig die Ursache für eine Gewalttat ist. Sie wählte aber lieber den anderen Weg. Autisten – rassistisch, chauvinistisch, sexistisch, triebgesteuert, mordlüsternd.
Autisten aus ganz Deutschland haben sich inzwischen mehrfach bei SpOn beschwert über diesen Artikel – alles was geschah war, dass aus der Liste ein Fließtext gemacht wurde.
Meiner Ansicht nach, gehört der Artikel gelöscht – das ganze Ding. Und Frau Cinthia Briseño gehört ob ihrer Hetze und katastrophal schlechten Recherche anständig abgewatscht. Das letzte bisschen Niveau von SpOn hat sich mit diesem Artikel endgültig verabschiedet. Wie kann ein dermaßen unsensibler Mensch für den Bereich “Gesundheit” schreiben? Gerade hier ist doch Zurückhaltung von großer Bedeutung. Besonders, wenn es um Menschen geht die ohnehin schon von der Gesellschaft ausgegrenzt werden und ganz besonders, wenn es gerade um ein Thema geht, wo eben diese Menschen, die jahrelang unter dem Druck der Gesellschaft und Isolation (und das betrifft eben bei weitem nicht nur die Autisten) gelitten haben, irgendwann nicht mehr können und durchdrehen – entweder Suizid begehen, einen erweiterten Suizid oder gar Amok laufen.
Dabei möchte ich noch anmerken, dass ich Asperger-Autisten mitunter für die rationalsten Menschen auf diesem Planeten halte – des Weiteren ertragen sie das allein sein viel länger (bevorzugen es in diversen Abständen sogar) als Menschen mit anderen Störungen oder neurotypische Menschen, die dann schwere Depressionen oder eben Persönlichkeitsstörungen entwickeln.
Fertig.
xxx, YM
UPDATE: Da die größte Interessenwelle inzwischen vorüber ist und im Hinblick auf das drohende Leistungsschutzrecht und die allgegenwärtige Gier sowie das parasitäre Verhalten der Abmahnindustrie, wurden sämtliche Links entfernt und Zitate durch “Blabla” ersetzt. Wer Interesse an den Originalbeiträgen hat, kann sich gerne bei uns melden.
Danke dafür.
Gerne =)
Irgendwie muss man sich ja gegen so etwas wehren. =/
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Bei einer richtigen Recherche wäre dieser Quantitätsjournalistin wohl auch über das “stark ausgeprägte Gerechtigkeitsempfinden” gestolpert, das ihr nun mit voller Wucht und absolut gerechtfertigt die eigene Hetzartikelrotze um die Ohren haut. Wenn man ihre in diesen Stunden erfolgenden Versuche sich aus diesem GAU herauszuwinden ernst nimmt, bleibt nur noch ihr völlige publizistische Inkompetenz zu attestieren. Denn selbst bei extrem wohlmeinender Interpretation lässt sich der suggestive Charakter des Textes nicht überlesen. Und wenn man eine solch gravierende Wirkung des eigenen Textes nicht abzuschätzen in der Lage ist, bleibt nur dieser Person jegliche Eignung für eine schreibende Tätigkeit außerhalb der PublicRelationsPropaganda und Werbung abzusprechen.
Um sich bei aller angebrachten Empörung emotional nicht zu sehr zu verausgaben, sei Betroffenen, deren Angehörigen und allen anderen geraten dieses “Ding” vor einem größeren Hintergrund zu sehen; Nur ein weiterer Tiefpunkt in einer kontinuierlich abwärts verlaufenden Kurve. Nicht ohne Grund steht das Wort “sponieren” für etwas wie zwanghafte, sensationsgeile Dummschwätzerei, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erhalten. Der Deutsche Internetwetterdienst hat zwischenzeitlich eine Warnung vor erhöhter Shitstormwahrscheinlichkeit in den nächsten Tagen für den Großraum Hamburg herausgegeben.
I love “Stormy Weather”
Besser hätte ich es nicht formulieren können, danke =)
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Leider ist das kein Zufall, sondern gehört zu der gezielten Propaganda gegenüber autistischen Personen, um sie entweder als gestört oder aggressiv oder beides in der Öffentlichkeit darzustellen. Jedes Bemügung um Integration wird so vereitelt und durch eine Vielzahl negaitver Darstellungen in allen Medien untermauert. Es ist auch kein Zufall z.B. der VDK als Verband Autisten nicht unterstützt.
Dann frage ich mich warum – werden Autisten als Bedrohung angesehen? Wenn ja, warum? Das angebliche Gewaltpotential kann es nicht sein. Das kann jeder nachlesen, dass das autistische Gemüt anders gestrickt ist.
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Ihr Eintrag, Adam Lanza und sein angeblicher Autismus, ist gut geschrieben und aufschlussreich. Herzliche Grüße!
Kora